Seiten

Donnerstag, 24. April 2014

In kleinen Schritten denken

Nach einer großartigen Steilvorlage vom befreudeten Blogger Henning Uhle, die wiederum auf einem ebenfalls lesenswerten Artikel über elterlichen Perfektionismus von Thomas Gigold basiert, möchte ich gern auch ein paar Worte zum Thema verlieren.
Es geht um die den meisten Eltern sicher nicht unbekannte und durchaus verständliche Neigung, dem eigenen Kind die vollkommene Erziehung angedeihen zu lassen. Alles wird durchgeplant, möglichst viele verschiedene Erfahrungen stehen auf dem Programm und die Eltern leiden ständig unter selbst erzeugtem Druck. Ist das nötig? Definitiv nicht. Darin stimme ich sowohl mit meinen Vorrednern als auch dem Printmagazin, das ich abonniert habe, überein. Ich möchte an dieser Stelle vor allem auf den Punkt der "Planung" eingehen.

Perfektion impliziert, dass es genau einen richtigen Weg gibt. Gäbe es weitere Wege, wäre ja irgendwas falsch an diesem einen. Zumindest gibt es dann genau ein perfektes Ergebnis, an dem rein gar nichts auszusetzen ist. Sehen wir uns aber die unglaubliche Bandbreite an Erziehungsmodellen an (im Prinzip erfährt jedes Kind ein anderes Modell, selbst unter Geschwistern), dürfte es ja nur ein extrem geringer Bruchteil aller Menschen im Leben zu etwas bringen.
Da dem nicht so ist, ist hier (wie auch in vielen weiteren Lebenslagen) Perfektionismus unnötig. Er überfordert sowohl die Eltern als auch die Kinder. Ebenso unsinnig wäre das genaue Gegenteil, nennen wir es "absolutes Desinteresse". Ein guter Erziehungsstil liegt wohl wie immer irgendwo in der Mitte zwischen beiden Extremen. Wenn das Kind über seinen Werdegang selbst bestimmt und dabei ein wenig angeleitet wird, passen gelegentliche "Kurskorrekturen" seitens der Eltern doch recht gut ins Konzept. Schließlich weiß das Kind nicht von Anfang an, welche Möglichkeiten es überhaupt hat und was später mal von Interesse sein könnte. Man sollte vielleicht nur vermeiden, sich selbst im Nachwuchs verwirklichen zu wollen und möglicherweise selbst verpasste Chancen dem Kind aufs Auge zu drücken, obwohl sich dieses in eine ganz andere Richtung entwickelt.

Damit kommen wir zu langfristigen Zielen.
Ich möchte mich gar nicht erst mit Beispielen wie "mein Kind soll Pianist werden" oder "mein Kind soll möglichst viele Länder bereisen" aufhalten. Es geht mir darum, wie man als Elternteil mit eigenen Erwartungen und der nicht immer komplett steuerbaren Entwicklung des Kindes umgeht, ohne selbst daran zu verzweifeln.
Wenn man mal an einem Seminar teilnimmt, das sich in irgendeiner Weise mit Erfolg, Selbsmotivation oder -organisation beschäftigt, lernt man, dass man in kleinen Schritten denken sollte. Natürlich sind langfristige Ziele wichtig, aber diese dürfen nicht zu präzise oder gar unerreichbar hoch gesteckt sein. Wenn der Weg zum Ziel irgendwo am Horizont einen Knick macht und immer noch weiter geht, verliert man schnell die Lust. Deshalb gilt die Regel: Das nächste Teilziel sollte kurzfristig erreichbar und realistisch sein. Wenn man dieses Ziel erreicht hat, gibt dieses Erlebnis den nötigen Motivationsschub für die nächste Etappe. Ebenfalls entscheidend ist, sich auf dem Weg immer mal wieder umzusehen und falls nötig neu zu orientieren. Möglicherweise sieht das Zwischenergebnis ganz anders aus, als erwartet. Vielleicht tauchen plötzlich größere Hindernisse auf, die das eigentliche Ziel infrage stellen. Hat man nur dieses eine Ziel im Auge, bricht im schlimmsten Fall ein ganzes Lebenskonzept zusammen. Ist man dagegen nur zwischen zwei Etappen stehen geblieben, kann man sich immer noch anders orientieren und auf dem bereits Erreichten aufbauen. Diese geistige Flexibilität tut nicht nur uns Erwachsenen gut, sondern mit Sicherheit auch unseren Kindern.
Von denen können wir dabei eine ganze Menge lernen. Wie schon im letzten Artikel erwähnt, bewundere ich meinen Sohn dafür, dass er sich mit so großer Begeisterung kleinsten Details widmet und dabei rundum zufrieden ist. Mangels größerer Aufmerksamkeitsspanne kann er sich in Sekundenbruchteilen umorientieren und sich für eine völlig andere Sache begeistern. Das gilt auch für Misserfolge: Kommt er an etwas nicht heran, scheint er sich manchmal kurz zu ärgern, findet dann aber sofort ein neues Objekt der Begierde.
Ein Erwachsener würde das möglicherweise mit Etiketten wie "Planlosigkeit", "Orientierungslosigkeit", "Konzentrationsmangel" oder "mangelndes Zielbewusstsein" versehen. Muss ich ihm das deshalb aberziehen? Nein, ich finde nicht. Im Gegenteil. Natürlich sollte er lernen, weiter entfernte Ziele im Auge zu behalten, und das wird er auch. Im späteren Leben und gerade bei der Arbeit ist es nicht unbedingt praktisch, wenn man von jeder Winzigkeit abgelenkt und aus dem Konzept gebracht werden kann. Die enorme geistige Flexibilität, die dieses Loslassenkönnen vom aktuellen Ziel mit sich bringt, halte ich aber für besonders fördernswert. Sie muss nur bewusst nutzbar gemacht und kanalisiert werden. Kombiniert mit dem Bewusstsein, wann man hartnäckig bleiben sollte und wann es sinnvoll ist, loszulassen, ebnet sich damit der Weg zu einem emotional ausgeglichenen Charakter, der sich von kleinen und mittelschweren Katastrophen nicht so leicht aus der Bahn werfen lässt.

Diese Erkenntnis möchte ich meinem Sohn gern mit auf den Weg geben. Ob er sie annimmt und erfolgreich umsetzt, kann ich jetzt noch nicht wissen. Deshalb gebe ich zumindest schrittweise mein Bestes, greife ihm wenn nötig unter die Arme, bleibe offen für Unvorhersehbares, freue mich über kleinere Erfolge und erwarte auf gar keinen Fall ein perfektes Endergebnis.
Ein guter Plan, oder?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen